Bschüttiwürm

Nun bessert sich das Wetter und wir alle lechzen nach etwas Sonnenschein. Noch ist etwas Geduld gefragt. Gerade aufgestanden, schaue ich zum Fenster raus und sehe kaum bis zu den nächsten Tannen. Dichter Nebel, kräftige Bise. Doch der Wetterbericht sagt Sonnenschein voraus für den heutigen Tag, da darf man doch optimistisch sein.

Nun sitzen die Gäste also langsam wieder auf der Terrasse und der Smalltalk von Tisch zu Tisch dreht sich um gewichtige Themen: die Flut hierzulande und natürlich im nahen Ausland, Klimapolitik im Allgemeinen, ab und zu auch wieder Corona. Und um «Bschütti-Würm». Wie wohltuend ist es über etwas so Alltägliches zu philosophieren. Wo man bei den anderen Themen geteilter Meinung sein kann, Lösungen nicht einfach zu finden sind und über die ganz grossen Zusammenhänge diskutiert wird, kann man über Güllenwürmer ziemlich viel Eindeutiges nachlesen.

Gerade als wir alle zueinander sagten, in der anfälligen Toilette seien also in diesem Jahr noch keine der ominösen wurmähnlichen Tiere gesichtet worden, kroch so ein ekliges Ding am nächsten Morgen in die eine Ecke. Vor meiner ersten Alpsaison habe ich noch nie ein solches Tierchen gesehen, aber die lernt man noch ziemlich bald kennen. Mal unter uns gesagt, jeder weiss, dass sie absolut harmlos sind, trotzdem «tschuderet» es einen immer ein wenig, denn sie sind irgendwie einfach hässlich. Die armen kleinen Dinger.

So entbrannte eine Diskussion, ob die Würmer zu Mistfliegen werden oder umgekehrt oder wie auch immer. Bei der anschliessenden Recherche zur Klärung der Situation ergaben sich wie folgt wieder mal unheimlich spannende Details. So ist die vom Aussehen her bienenähnliche, adulte (welch schönes Wort!) Mistfliege ein Blütenbesucher, halte sich aber oft und gerne in der Nähe von Jauchegruben und Mistplätzen auf. Dort legt sie ihre Eier, woraus nach ein paar Tagen die Larven schlüpfen. Die Larven – dass wären jetzt also die vorgenannten «Bschüttiwürm» - leben von totem organischem Material in der Gülle und erfüllen als Abfallverwerter eine wichtige Aufgabe in der Natur.

Nun gut, das macht sie schon etwas sympathischer. Was aber wirklich erstaunt: der schwanzartige Fortsatz am Hinterteil sei eigentlich ein Schnorchel! Er könne sogar mehrere Zentimeter ausgefahren werden, um im seichten Gewässer auch auf dem Grund Nahrung aufnehmen zu können. Unglaublich! Nach zwei bis drei Wochen verlassen die Larven ihre gewohnte Umgebung und suchen sich einen höhergelegenen, trockenen Platz, um sich zu verpuppen. Da kommt dann die Ecke in der Toilette oder ähnliche Stellen ins Spiel. Nach einer ein- bis zweiwöchigen Puppenruhe (wieder so ein herrliches Wort) schlüpfen dann die fertigen Mistbienen. Et voilà!

So weit kommt es bei den Güllenwürmern, die den Weg in die bekannte Ecke finden, nicht. Sie werden selbstverständlich bei der morgendlichen Putzroutine begleitet von einem nicht so netten Wort irgendwohin spediert – wohl meist auf einigen Umwegen zurück in die Gülle. Das muss ja für sie auch deprimierend sein!

Wie auch immer, jetzt haben wir und auch Sie, liebe LeserInnen, wieder herrlichen Stoff für Smalltalk – wenn die schweren Themen mal zu schwer werden!

Geniessen Sie die schönen Tage und alles Liebe.

Nadja Santschi